Hallo,
ich müßte sicher noch mehr sichten. Aber ich habe auch anderes Dringendes zu tun und
habe erst einmal aufgeschrieben, wie ich es jetzt, nach dem ausfürlicherem Lesen des Dokumentes "Schriftliche Urteilsgründe in der Strafsache gegen Wolfgang Daschner, Pressemitteilung des LG Frankfurt vom 15. Februar 2005" (
Link zum pdf-Dokument ) sehe.
Im Anhang habe ich eine Chronologie der Ereignisse des Kriminalfalles bis zur Folterandrohung auf der Grundlage des genannten Dokumentes zusammengestellt.
Die Diskussion um die Folterfrage in Deutschland läuft, wie hier im Forum zu lesen war, immer noch weiter und wird leider auch immer wieder angeregt durch die gerichtlichen Verfahrensanträge von Gäfgen und dessen Verteidiger. Wenn es Gäfgen darum gegangen wäre, die Unzulässigkeit von Folter und Folterandrohung allgemein, und in seinem Fall speziell, zur Geltung zu bringen, dann hätte
das Verfahren gegen Daschner und E. vor dem Landgericht F.a.M. ausreichend sein können.
Denn die beiden wurden ja dort auch schuldig gesprochen und verurteilt. In Gäfgens eigenem
Prozeß wurden vier Vernehmungen, drei polizeiliche Vermerke und eine Leseabschrift wegen
der Folterandrohung nicht zu Beweiszwecken zugelassen. Gäfgens Verurteilung basierte auf
seiner Aussage (also seinem umfassenden Geständnis) direkt vor Gericht. Ein Einklagen von
Schmerzensgeld jetzt wegen der Folterdrohung - das halte ich für genauso unpassend, wie die Klage vor dem europäischen Gerichtshof, die ja nun auch abschlägig beschieden wurde, weil er nicht gefoltert wurde und einen fairen Prozeß bekommen hat. Ich kann nicht sagen,
welchem Zweck dies nun alles genau dienen soll und dient (also aus Sicht von Gäfgen und
dessen Anwalt). Jedoch, als Positives wurde durch das Verfahren vor dem Europäischen
Gerichtshof zum Beispiel nun auch in einem Gerichtsbeschluß auf dieser Ebene deutlich, daß
das Verfahren gegen Gäfgen vor Gericht einwandfrei war.
eine Bemerkung allgemeiner Art zu dem Fall, nicht direkt zur Folterproblematik:
Außer diesen juristischen Aktivitäten hat Gäfgen ein Buch geschrieben und versuchte eine
Stiftung für Kinder, die Opfer von Verbrechen wurden, zu gründen. Nach Widerständen der
Öffentlichkeit und der Behörden wurden dann wohl der Anwalt oder ein befreundeter
Politiker als Stellvertreter-Repräsentanten für die Stiftungsgründung eingesetzt. Ich
möchte und kann mich in diesen Fall und in die beteiligten Personen nicht so weit vertiefen, daß ich das fundiert bewerten kann. Denn die Sache sehe ich als Bürger eines Rechtsstaates in der Grundlage allgemein so, daß eine Bestrafung von Tätern sinnvoll ist,
daß aber das Maß der Bestrafung und vor allem die Wandlungsmöglichkeit des Täters während
der Haft auch zur Geltung kommen müssen. Wenn jemand wie Gäfgen 15 Jahre oder ein halbes
Leben im Gefängnis verbringen muß, dann ist das nicht wenig. Das ist sicher auch schon
eine ausreichend lange Zeitspanne, um dies als Strafe zu erleben und auch dafür, um in dieser Zeit eine neue Sichtweise auf das Geschehene, auf die Ursachen und die Beweggründe und auf das eigene Handeln entwickeln zu können. Deshalb sollte diese Option des vorzeitigen Freikommens immer vorliegen. Ich glaube auch in diesem Falle liegt sie vor, aber natürlich nach der Feststellung der besonderen Schwere der Straftat ist sie nur sehr vage - es gibt wohl die Begnadigungsmöglichkeit.
Wie gesagt, ich verstehe, dies alles noch nicht, also Gäfgen und seinen Anwalt, und was
die genau wollen und warum sie sich so verhalten. Die Feststellung der besonderen
Schwere der Straftat vom Tisch zu bekommen - das ist nicht mehr möglich. Denn es war eine
besonders schwere Straftat. Und ich denke, dieses An-der-Nase-Herumführen eines
beträchtlichen Polizeiapparates, der in erster Linie in lebensrettender Aufgabe zum
Einsatz kam, und die Bezichtigung Unschuldiger - das hat die Schwere der Schuld noch
weiter vergrößert, auch vor dem Hintergrund Gäfgens Ausbildung als Jurist. Wenn sich
Gäfgen und sein jetziger Anwalt vorstellen, daß sie den Fehler von Daschner ausnutzen können, um ein verkürztes Strafmaß zu erreichen, wird sich das kontraproduktiv auf die
Begnadigungsmöglichkeit auswirken. Denn, wie gesagt, das Verbrechen wurde ja begangen -
das Fehlverhalten von Daschner hatte darauf keinen Einfluß. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge.
Weiter zur Folterproblamtik:
Man sagt abschätzig: "Hinterher ist man immer schlauer." Man sollte diese Tatsache einmal
ganz unvereingenommen begrüßenswert sehen. Natürlich ist man hinterher schlauer und es ist
gut so, daß man für die Zukunft schlauer werden kann. Bei all der Diskussion kann man sich
doch Folgendes fragen: War die Folterandrohung (bzw. wäre eine Folter) im Fall Gäfgen
erfolgreich (gewesen), um eine Notlage/einen Notstand zu beheben bzw. eine Notwehr zu
bewerkstelligen? Es ging in der Frage der Notwehr und des Notstands darum, wie Daschner
und E. sagten, das Leben des entführten Kindes zu schützen und zu retten. Die - zum
damaligen Zeitpunkt nun leider noch nicht bekannte - Tatsache war aber, daß das Kind
bereits zum Zeitpunkt der Alarmierung der Polizei nach dem Auffinden des Erpresserbriefes
tot war. Es wurde unmittelbar nach der Entführung in Gäfgens Wohnung getötet. Weder eine
Folterandrohung, noch eine Folter, konnten also diese Notlage noch beheben.
Und damit zeigt doch gerade dieser Fall, daß Folter in derartigen Notlagen/Notständen/als
Notwehr, unabhängig von allen anderen moralisch und geschichtlich begründeten Einwänden,
kein erfolgreiches Mittel sein muß, und wahrscheinlich auch oft nicht sein wird. Auch wenn
es nur ein einzelner Fall hier ist, der nicht für alle stehen kann, aber der Widerspruch
besteht ja hier gerade darin, daß die allgemeine Diskussionswürdigkeit dieser Frage an
diesem Fall herbeigeredet wurde, weil es leider zu dem Rechtsverstoß von Daschner gekommen
ist, und wiederum gerade dieser Fall zeigt, wie sinnlos im Sinne des verfolgten Ziels der
Notstandsbekämpfung und des erfolgreichen Notwehreinsatzes, die Folterandrohung und Folter
sein können.
Das schwere Verbrechen - so wie es abgelaufen ist und wie es dazu kommen konnte - das ist
hier das Problem, nicht die der Polizei zur Verfügung stehenden Ermittlungsmethoden.
Denn auch das zweite Argument, daß die Folterandrohung und die Folter ja auch allgemein
nur als letztes Ermittlungsmittel eingesetzt werden sollten, wenn alle anderen erschöpft
sind, trifft auf diesen Fall nicht zu. Man war noch nicht am Ende angekommen - es gab
konkrete Planungen - einen Stufenplan - daß man Gäfgen Personen gegenüberstellen wollte,
die ihn in seinem Aussageverhalten hätten beeinflussen können. Es fand eine
Gegenüberstellung mit seiner Mutter statt. Die führte nicht zum Erfolg. Zu weiteren
Gegenüberstellungen mit den Geschwistern des entführten Jungen und danach möglicherweise
auch mit dessen Eltern, kam es nicht. Diese hätten aber erfolgreich sein können, weil man
sich kannte und gerade Gäfgen auch aus Gründen der Bewunderung der von Metzlers bei der
Familie Anerkennung suchte. Sicher lief die Zeit immer weiter, und die Wahrscheinlichkeit
den entführten Jungen noch lebend auffinden zu können sank, statistisch gesehen. Die
genannten Gegenüberstellungen hätten jedoch nicht eines allzu großen weiteren
Zeitaufwandes bedurft. Vom Zeitpunkt der Entführung bis zur Feststellung und
Identifikation Gäfgens bei der Abholung des Lösegeldes waren etwa 50 Stunden vergangen.
Etwa 15 Stunden observierte die Polizei dann Gäfgen bis zur Festnahme. Die Verhöre
inklusive einer Nachtruhe von 7 Stunden dauerten bis zur Information Gäfgens über den
Aufenthaltsort der Leiche insgesamt etwa 16 Stunden. Ich habe keine absoluten Vergleiche
zu anderen Entführungsfällen, aber ich denke, das liegt alles im Bereich des zeitlich
üblichen bei derartigen Verbrechen. Daß Erpressungen und Entführungen für die Täter auch
gefährlich sind, wissen die ja auch und versuchen aus diesen Gründen, nichts zu
überstürzen und irgendwelche "sichere" Kontaktwege und Lösegeldübergaben zu organisieren.
Den Zeitdruck bei der Polizei kann man schon in Rechnung stellen, aber eine professionelle
Abgeklärtheit, daß man sich möglichst nicht unter Zeitdruck bringen läßt, sondern zügig
arbeit - das muß man von der Polizei und ihren Führungspersonen erwarten können.
Auch stand zum Zeitpunkt der Folterandrohung noch nicht eindeutig fest, daß G. ein
Einzeltäter war (und daß er somit die gesuchten Informationen besaß). Es liefen noch die
Verhöre gegen die Brüder M., auch die Suche am Langener Waldsee war noch nicht
abgeschlossen. Daß G. gelogen hat, war eine Vermutung des Polizeipsychologen, die Daschner
übernahm.
Neben der Frage, daß in der Vernehmung vom noch lebenden Kind ausgegangen wurde und eine
Strafminderung für die Rettung des Kindes in Aussicht gestellt wurde, stand aber auch die
Frage, von den anderen Möglichkeiten auszugehen. Und auch für diese Alternativen hätte man
eine Strafminderung oder einen Vorteil bei kooperativer Mitarbeit bei der
Verbrechensaufklärung anbieten müssen (in der Urteilsbegründung gegen Daschner wird auch
erwähnt, daß bei diesen Delikten leider meistens die Entführungsopfer sofort getötet
werden). Konnte man das nicht, oder wollte man das nicht, oder hat man es getan? (Von
Seiten der Polizei hört man immer wieder die Floskel: "Wir ermitteln in alle Richtungen."
- dann doch auch hier, auch inhaltlich.) Jeder festgenommene Verbrecher muß sich erst
einmal darauf einstellen, daß sein (mehr oder weniger lange) geplantes Verbrechen
gescheitert ist. Natürlich - die Profiverbrecher und die vermeintlichen Profiverbrecher
versuchen dann den Weg des "Was man mir nicht beweisen kann..." zu beschreiten. Aber dann
steigen natürlich die Kosten vor Gericht in dem Falle, wenn diese Strategie scheitert. Und
das ist meistens der Fall. Von einer erhofften Blödheit der Polizei auszugehen, ist das
Dümmste, was man im Sinne einer Strafreduktion machen kann. Das hätte man vielleicht
Gäfgen, der sicher ein besonders uneinsichtigen Weg gehen wollte, in einem Crashkurs
vermitteln sollen und können. Vielleicht hat es der Ermittlungsbeamte auch getan - ich weiß es nicht.
Und abschließend noch ein letztes Argument gegen Folter und Folterandrohung am Beispiel
dieses Falles - nach der Mitteilung über das Versteck von Jakob Metzler log G. weiter
bezüglich des Zustandes des Kindes, und bezüglich möglicher Tatbeteiligter. Sogar noch bei
der Rückfahrt vom Fundort der Leiche (!!!!!) benannte er einen weiteren Unschuldigen als
Drahtzieher und Hauptverantwortlichen des Verbrechens (und auch der wurde dann noch
festgenommen, aber schnell wieder frei gelassen, weil die Lüge G.s schnell aufgeklärt
werden konnte.
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Chronologie:
27. September 2002 (Freitag):
Der Jura-Student Magnus Gäfgen entführt den Bankierssohn Jakob von Metzler auf dem Schulweg (Mitnahme mit dem Auto, er hatte den Jungen unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt). Anschließend erstickte er den Jungen. Im Erpresserbrief, schon eine Woche vorher geschrieben, wird die Übergabe des Lösegeldes in der Nacht vom Sonntag zum Montag ein Uhr an der Haltestelle der Linie 14 "Oberschweinstiege" gefordert. Es wurde im Brief versichert, daß der Junge am Morgen nach der Geldübergabe wohlauf nach Hause zurückkehrt. Gäfgen brachte den Jungen um, weil er der Familie bekannt ist und er befürchten mußte, daß er ihn im Überlebensfall als Täter benennen würde. Mit dem toten Jungen im Kofferraum seines Autos fuhr G. zum Haus der Familie M. und warf dort den Brief in den Bereich zur Einfahrt zu dem Wohngrundstück.
Dann fuhr er weiter nach Birstein und versenkte die Leiche in einer Plastikhülle unter einem Holzsteg im See.
12.40 Uhr:
Der Hausmeister der Familie M. fand das Erpresserschreiben. Die Polizei wurde von dem Entführungsfall informiert und vermutete sofort einen ernsten Hintergrund, bei dem das Leben des Kindes auf dem Spiel stand.
Polizeipräsident W.-B. war im Urlaub (wurde der informiert?). D. ordnete die Alarmierung der Einsatzkräfte und die Einrichtung der für Entführungsfälle vorbereiteten Besonderen Aufbauorganisation (BAO "Louisa") an. E. wurde Polizeiführer und ihm unterstellt ein Führungsstab, Spezialeinheiten und Spezialkräfte sowie eine Beratergruppe.
15.20 Uhr:
Information der Staatsanwaltschaft. Vertreten durch Staatsanwalt K.
E. leitete als amtierender Leiter K12 den Unterabschnitt "Allgemeine Ermittlungen".
Es erfolgte Dienst in zwei Schichten. E.: Tagschicht, Pr.: Nachtschicht.
(Bei dem Streß - nur zwei Verantwortliche und nur zwei Schichten ?????)
Mit dem Polizeipsychologen S. erfolgten Erkundungen im Umfeld der Familie M. und die Bewertung des Erpresserschreibens. Der Brief gab berechtigten Anlaß zu der Hoffnung, daß Jakob M. noch lebte, da dessen Freilassung nach Zahlung des Lösegeldes versprochen worden war.
Nachdem laufende Ermittlungen keinen Anhaltspunkt für einen Täterkreis ergaben, bereitete man die Geldübergabe vor mit der Maßgabe den Geldabholer unbemerkt zu überwachen, um auf diese Weise Kenntnisse über den oder die Täter und den Aufenthaltsort des Kindes zu erhalten.
28.9.02 (Sonnabend):
siehe Vortag
30.9.02 (Sonntag):
siehe Vortag
1.10.02 (Montag), 1.10 Uhr:
G. wurde als Abholer des Geldes beobachtet und dann identifiziert und stand seitdem unter nahezu lückenloser Überwachung.
G. nahm bei mehrereren Geldinstituten Bareinzahlungen vor.
Er schloß nach einer Probefahrt einen Kaufvertrag über einen PKW Mercedes in Aschaffenburg ab.
Er buchte mit seiner Freundin P. für den 7.10.02 eine Reise nach Fuerteventura.
Er suchte mit ihr verschiedene Ladenlokale in Frankfurt auf der Zeil auf.
Da keine Aktivitäten bezüglich des Kindes beobachtet wurden, konnte dieses Verhalten ein Zeichen dafür sein, daß der Junge möglicherweise schon tot war. Man wußte, daß G. und Jakob von Metzler sich kannten. Es konnte aber sein, daß andere unabhängig agierende Täter das Kind in ihrer Gewalt hatten. Oder es konnte sein, daß sich das Kind bei Alleintäterschaft G.s hilflos in einem Versteck befindet.
16.20 Uhr:
Festnahme von G., da 3 Tage seit der Entführung vergangen waren und G.s Verhalten keinen Aufschluß lieferte.
Erste Überhörung durch Pe.
18.20 Uhr:
Vernehmung durch M., ein in Vernehmungsfragen erfahrener Beamter, der ein Vertrauensverhältnis schaffen wollte. M. versuchte G. zu veranlassen, Angaben zum Kind zu machen, ob es noch lebt und wo es sich befindet. Parallel dazu liefen intensive Ermittlungen im Freundes- und Familienkreis von G., die Durchsuchung von G.s Wohnung wurde angeordnet und die Freundin P. festgenommen.
G. war nicht bereit, auf den Schuldvorwurf einzugehen und sorgte sich um die Freundin P. M. beruhigte ihn, daß der Freundin nicht passiere, wenn sie mit der Sache nichts zu tun habe. Daraufhin machte G. Angaben:
Er hätte mit der Entführung nichts zu tun - ein Unbekannter hätte ihm 20.000 Euro angeboten, wenn er das Lösegeld abhole. M. stellte fest, daß das völlig unglaubhaft sei.
M. stellte fest, daß er hauptsächlich um das Leben des Kindes besorgt sei und daß G. eine erhebliche Strafmilderung erhoffen könne, wenn er dazu beitrage, den Jungen zu retten. G. machte keine Angaben zum Verbleib des Kindes.
Man fand zu dieser Zeit in G.s Wohnung einen Geldbetrag (500.000 Euro), der als das Lösegeld identifiziert wurde.
Außerdem fand man einen Zettel, auf dem in Checklisten-Art stand:
"Weg abfahren
Ortstermin Steg
Rucksäcke
Brieftest
Brief O...
Briefsteinwurf testen
Beil"
Das deutete daraufhin, daß G. in die Entführung einbezogen und möglicherweise Alleintäter war.
Auf den Vorwurf des Geldfundes erklärte G. die Abholung des Lösegeldes und den Transport des Geldes in seine Wohnung, er erklärte den Besuch der Geldinstitute, den Besuch des Autohauses und die Buchung der Reise. Zu dem Kind gab er auseichende Antworten, er verhielt sich abweisend und distanziert. Er überlegte. Er bat um Konsultierung eines Anwaltes, worauf der Anwaltsnotdienst verständigt wurde.
M. setzte die Befragung fort und schrieb 3 Fragen auf:
"Befindet sich Jakob alleine irgendwo?"
"Oder ist er unter Bewachung/Aufsicht?"
"Oder befindet er sich nicht mehr am Leben?"
G. lehnte eine Antwort ab, daraufhin schlug M. vor sich umzudrehen, so daß G. unbeobachtet ankreuzen kann. G. hatte angekreuzt, daß sich Jakob unter Bewachung/Aufsicht befindet. Polizeipsychologe S., der zeitweilig bei der Vernehmung anwesend war, meldete der Polizeiführung, daß G. bewußt keine Angaben mache, sondern sich zurückhalte, taktiere und Zeit zu gewinnen suche.
20.00 Uhr:
D. wurde telefonisch informiert, daß gegen 10 Personen und 11 Wohnobjekte aus dem privaten Umfeld von G. Ermittlungsmaßnahmen laufen, daß in G.s Wohnung 500.000 Euro gefunden wurden und daß G. erklärte, er habe nur das Geld abholen sollen. D. erklärte gegenüber E. die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegenüber G. sei freigegeben. Dies verstand E. nicht als Anordnung, sondern als Anregung.
21.30 Uhr:
E. beruft eine Versammlung mit L.und R als Abteilungdirektoren und S. ein. Thema war die Bewertung der Aussage G.s und wie man ihn zu den zutreffenden Angaben veranlassen konnte. Nach den Funden des Geldes und des Zettels war G. als Alleintäter oder Mittäter der Entführung und Erpressung dringend verdächtig.
Die Frage der Anwendung unmittelbaren Zwanges und der damit verbunden Erfolgsaussichten wurden von E. angesprochen und S. aufgefordert dazu Stellung zu nehmen. S. schätzte ein, daß dies nicht zum Erfolg führen würde, weil G. als ausgebildeter Jurist ausweichend antworten würde. Stattdessen sollten G.s Eigenschaften der Selbstverliebheit, der Arroganz und der Geldgier genutzt werden. S. sollte prüfen, ob die Geschwister von Jakob Metzler freiwillig bereit und psychisch in der Lage sind, eine Konfrontation mit G. durchzustehen und sie darauf vorzubereiten. S. schlug vor, weitere Personen ausfindig zu machen, die Einfluß auf G. haben und ihm gegenübergestellt werden könnten. Ob auch die Freundin P. in Betracht kam, konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden.
Es wurde ohne direkte Anweisung von D. ein Stufenplan erarbeitet, daß G. erst mit seiner Mutter, dann mit den Metzler-Geschwistern und dann gegebenenfalls mit den Eltern von Jakob Metzler konfrontiert werden sollte. Weiterhin sollte eine intensive Vernehmung mit M. laufen. Die von D. angeregte Anwendung unmittelbaren Zwanges wurden einhellig verworfen.
22.30 Uhr:
E. teilte D. das Beratungsergebnis mit und erläuterte den Stufenplan. D. war damit einverstanden.
Staatsanwalt K. der sich noch im Polizeipräsidium befand, wurde nicht zu der Frage des unmittelbaren Zwanges informiert - S. sprach mit ihm über die Möglichkeit der Konfrontation mit den Geschwistern M.
genauer Zeitpunkt ?:
G. sprach mit dem Rechtsanwalt Z.
genauer Zeitpunkt ?:
G. benannte gegenüber M. als Verwahrort des Kindes eine Hütte am Langener Waldsee. Den genauen Standort und die Umgebung beschrieb er nur vage, so daß auch unter Zuhilfenahme einer Karte der Standort nicht genau ausgemacht werden konnte. Bei der Beschreibung der Hütte benutzte er Merkmale der Hütte am Birsteiner See - des tatsächlichen Ortes, an dem er die Leiche versenkt hatte.
Da nur die Hälfte des Lösegeldes gefunden worden war, er die Alternative Bewachung/Aufsicht angekreuzt und die Beschreibung der Hütte nicht unrealistisch erschien, wurde vermutet, daß Mittäter existieren. M. fragte deshalb nach den Mittätern und wo diese sich mit dem Jungen befinden.
2.10.02 (Dienstag), gegen 1.00 Uhr:
Nach langer Befragung gab G. an, daß die Gebrüder R. sich des Kindes bemächtigt hätten und es in der Hütte am Langener Waldsee bewachten. G: "Hoffentlich finden Sie dort jetzt kein totes Kind."
G. war nicht mehr bereit, weitere Angaben zu machen. M. verblieb mit G. daß er die Vernehmung um 8.00 Uhr fortsetzen werde und ließ ihn in die Zelle bringen.
M. war skeptisch, konnte aber nicht ausschließen, daß die Angaben zutreffen. Er hoffte, daß er am Morgen aufgrund des aufgebauten Vertrauensverhältnisses und der Verarbeitung in der Nacht bereitwilliger und wahrheitsgemäß aussagen werde.
Infolge der Aussagen von Gäfgen ergab sich eine neue Ermittlungssituation. Zwar äußerte der völlig übermüdete Polizeipsychologe S. spontan die Vermutung, daß es sich um ein erneutes Lügengebäude handelt, aber nach Beratung durch den Leiter "Ermittlung" L., der laufend über die Verhörergebnisse durch Pr. informiert wurde, gab E. Anweisung das Gelände um den Langener Waldsee abzusuchen.
Mehrere Hundertschaften (etwa 1000 Beamte mit 60 Suchhunden) wurden zur Suche an den See verlegt.
Zwei Spezialeinheiten begannen Vorbereitungen für Aufklärungs- und Zugriffsmaßnahmen bezüglich der Wohnobjekte der Brüder R.
Es wurden Polizeinheiten zur Abschirmung der Villa von Familie Metzler abgestellt, weil nach der erfolgten Information der Öffentlichkeit - aus Gründen der Hinweissuche - diese von 20 TV-Übertragungswagen belagert und in taghelles Licht getaucht war.
In Anbetracht der geänderten Ermittlungslage wurde die geplante Konfrontation mit den Geschwistern M. zurückgestellt.
Die Absuchmaßnahmen an den Seen liefen bis zum Morgen.
6.02 Uhr:
M.R. wurde in seiner Wohnung festgenommen.
6.26 Uhr:
F.R. wurde in seiner Wohnung festgenommen.
6.30 Uhr:
Die Vernehmung von M.R. begann.
D. erschien nach wenigen Stunden Schlaf im Präsidium. E. informiert über den aktuellen Sach- und Kenntnisstand.
6.35 Uhr:
Gespräch von D. mit E. und Mü. in einem Nebenraum der Befehlsstelle.
Ein Lügendetektor sei ungeeignet. Spritzen von Wahrheitsserum wäre denkbar, wenn vorhanden. Ansonsten erfolgte die Anordnung, G. nach vorheriger Androhung von Folter, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen, ohne Verletzungen erneut zu befragen. Begründung: Vorliegen eines übergesetzlichen Notstandes. Mü. war "perplex".
6.50 Uhr:
Anruf von Mü. bei W., dem Leiter des Sondereinsatzkommandos. Die Anforderung eines Beamten zum Foltern erfolgte. W. erörterte dies mit seinen Einsatzleitern und stellte fest, daß es hierfür keine rechtliche Grundlage gebe.
6.55 Uhr:
Mü. erfährt von L., daß M.R. eine Beteiligung an der Tat bestreite und daß er sich die Beschuldigung G.s als Rache aufgrund einer früheren Anzeige wegen sexueller Übergriffe erkläre. Mü. ordnet an, daß Polizeiärzte ins Krankenhaus gerufen werden sollen.
gegen 7.00 Uhr: F.R. wird verhört.
7.00 Uhr:
Einberufung einer Besprechung von Mü. mit E.,L.,W.,R.,Mo. und E.
Im Ergebnis wurde festgestellt, daß die besprochenen Ermittlungsmaßnahmen (Stufenplan) weitergeführt werden sollen. D.s Ansinnen ließ man beiseite und betrachte sie nur als allerletzte mögliche Maßnahme. R. bekannte sich aus Gewissensgründen zur Anordnung von D.
7.40 Uhr:
R. beruft Folgebesprechung ein. Anwesend sind Mü., W, E. O. und E. Ergebnis: das Stufenkonzept ist möglichst schnell durchführen.
8.00 Uhr:
D. bat R., W. und Mü. in sein Zimmer. Er war erregt und fragte laut, warum seine angeordnete Maßnahme noch nicht umgesetzt sei. Mü. hielt ihm entgegen, daß ein Stufenkonzept entwickelt worden sei. D. erwiderte, ein Stufenkonzept sei nicht vereinbart gewesen. Es wurde ihm alles noch einmal erläutert und die rechtlichen Vorbehalte zur Sprache gebracht. Als Beispiele für Schmerzen ohne Verletzungen nannte D. das Überdrehen des Daumens und Handgelenks. W. äußerte Bedenken, daß man das nicht tun dürfe und daß sich niemand aus seiner Abteilung dafür finden würde. Als D. nicht locker ließ, meinte W. es komme dafür nur ein Beamter in Betracht, der sich aber im Urlaub befinde. D. verlangte, daß dieser Mann mit einem Hubschrauber geholt werden solle und er bot sich an, mit dem genannten Beamten direkte Gespräche zu führen.
Mü. ging danach zur Befehlsstelle und telefonierte mit Mo., seiner Ablösung. Es wurde vereinbart, D.s Maßnahme derzeit nicht durchzuführen. Alles weitere wollten sie sich nur in gemeinsamer Absprache vorbehalten.
ebenfalls 8.00 Uhr:
G. wird aus seiner Zelle geholt und in Anwesenheit von Pr. und Pe. seiner Mutter gegenübergestellt. Auf die vorherigen Fragen von Pr. und Pe. nach dem Verbleib des Kindes erhielten sie ausweichende Antworten. G. erklärte gegenüber seiner Mutter wahrheitswidrig, er stehe selbst unter Druck und werde erpresst. Angaben zum Verbleib des Kindes machte er auch ihr gegenüber nicht.
8.20 Uhr:
Die Sondereinheit vom Langener Waldsee meldete den Fund eines Kinderschlafsackes mit rötlichen Anhaftungen in einer Hütte.
8.30 Uhr:
E. wurde von D. in sein Büro bestellt. D. wies E. als Vorgesetzter an, G. erneut zu befragen, an sein Gewissen zu appelieren und auf die akute Lebensgefahr hinzuweisen. Wenn G. wieder keine Auskunft erteilt, solle ihm mit der Anwendung unmittelbaren Zwanges (Folter- hier im Speziellen unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen, ohne Verursachung von Verletzungen) gedroht werden.
8.40 Uhr:
Polizeiarzt Dr. C. wurde von Mü. über die Anordnung von D. und deren Hintergrund informiert und gefragt, ob er bereit sei, diese ärztlich zu begleiten. Er bejahte.
ebenfalls 8.40 Uhr:
E. begibt sich in Pr.s Büro, in dem G. nach Beendigung der Konfrontation mit der Mutter saß. E. sagte zu Pr., er habe einen Auftrag von D. und müsse mit G. sprechen. Pr. verließ das Zimmer.
Im Gespräch sagte E. G. auf den Kopf zu, daß an seiner maßgeblichen Tatbeteiligung keine vernünftigen Zweifel bestehe.
Weiter folgte dann die mit D. abgesprochene Folter-Androhung. Um G. zu beeindrucken, sagte E., daß ein besonderer Beamter mit dem Hubschrauber unterwegs sei, der ihm Schmerzen zufügen könne, die er nicht vergessen werde.
G. machte dann nach wenigen Minuten die Aussage, er habe Jakob M. unter einem Steg an einem See bei Birstein versteckt. Er äußerte diffus, es könne sein, daß der Junge tot sei.
Danach verlangte E. auf dem Flur lautstark eine Karte von Birstein und K., der sich in der Gegend gut auskannte, begab sich mit Sk. zu G. in das Vernehmungszimmer, um sich nach örtlichen Details zu erkundigen. Auf die Frage, ob Jakob noch am Leben sei, gab G. ausweichende Antworten. Er erklärte, er (G.) sei als erster dort weggegangen und er wisse nicht, ob die anderen noch da seien. Auf Nachfrage, ob der Ort jetzt richtig angegeben sei, erwiderte G. "Das stimmt jetzt." Er zeigte auf der Karte auf einen Feldweg und nannte weitere Einzelheiten, die Ortskenntnis auswiesen.
Danach brachen die Einsatzkräfte beschleunigt nach Birstein auf.
Von M., der mittlerweile eingetroffen war, nach Birstein befragt, antwortet G. er wolle nur dorthin fahren, wenn M. ihn begleite. M. fuhr deshalb mit nach Birstein und begleitete ihn auch auf der Rückfahrt. Auf der Fahrt nach Mittätern befragt, gab G. wahrheitswidrig an, B.S. sei Urheber und Drahtzieher der Straftat gewesen. B.S. wurde darauf hin festgenommen. Die nachfolgenden Ermittlungen ergaben schnell, daß die Anschuldigung nicht stimmte und G. räumte auch ein, gelogen zu haben.
8.50 Uhr:
Mü. informierte D. telefonisch über den Fund des Kinderschlafsacks und die Bereitschaft des Polizeiarztes.
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Hier kann man einen Filmbericht über das
Bankkhaus B. Metzler seel. Sohn & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien finden (unter dem Text in den blau unterlegten Feldern), in dem die Eltern des ermordeten Jakob zu sehen sind. Hätte Gäfgen eine aufrichtige Freundschaft zu dieser Familie gesucht, hätte er sicher auch menschlich sehr davon profitieren können.