Das Dilemma mit der Folterandrohung im Fall Gäfgen




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Das Dilemma mit der Folterandrohung im Fall Gäfgen

Beitragvon toggle bis 12. Jan. 2012 » 30.06.2008, 15:26

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat heute die Grundrechtsbeschwerde des Kindsmörders Gäfgen mit der Begründung abgewiesen, daß Gäfgen weder gefoltert worden ist noch kein faires Verfahren erhalten habe. Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg stellt vor diesem Hintergrund in einem beispielhaft brillianten Interview heraus, was Folter ist und was nicht und wann unter Umständen die Androhung der Folter (die in den internationalen Konventionen im Gegensatz zur Folter NICHT verboten) als Notwehr des Staates für einen mit dem Tode bedrohten Menschen zu rechtfertigen sein könnte.

Der Artikel hierzu in tagesschau.de: http://www.tagesschau.de/ausland/gaefgenstrassburg2.htm

Und hier der Link zum Interview, Download u.a. als MP3 ist möglich, Titel: Folter als Notwehr? Das Dilemma im Fall Gäfgen, Reinhard Merkel, Deutschlandradio, 30. Juni 2008 15:02 Uhr, Dauer 11 min 23 sek: http://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio20700.html

Besonders direkt und prägnant verurteilt Merkel in diesem Interview auch das, was die USA im Irak in Abu Ghraib und in Guantanamo gemacht haben, und läßt nicht den mindesten Zweifel an der Rechtswidrigkeit des US-amerikanischen Vorgehens.

Und letztlich fordert er eine Diskussion darüber, wie der Staat, also wir alle, in solchen Grenzfällen wie dem des Gäfgen in Zukunft reagieren solle. Das mindeste müßte die Anerkennung des durch die verschiedenen sich entgegenstehenden Rechtsnormen entstehende Dilemma sein, sagt Merkel.

Gruß
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toggle bis 12. Jan. 2012
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von Anzeige » 30.06.2008, 15:26

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Beitragvon miljas » 30.06.2008, 19:11

Hallo toggle,

wenn eine Folterandrohung gegen keine Rechtsnorm verstößt, ist eine solche Androhung dennoch fragwürdig, weil sie meiner Meinung nach einerseits eine Straftat ankündigt (Bedrohung) und andererseits vom Bedrohten als nichtig betrachtet werden kann, weil es bei der auf der staatlichen Seite zu erwartenden Achtung des Rechts (keine Folter) offensichtlich eine leere Drohung ist.

Und zur Frage der Notwehr würde ich sagen, daß dies in vielen anderen Fällen dann genauso unklar ist, was genau zu tun ist, um bedrohte Menschen zu schützen. Wenn zum Beispiel eine Geiselnahme abläuft, dann wird meist erst einmal mit dem Geiselnehmer verhandelt, um nähere Informationen über die Situtation und den Zustand des Täters zu erlangen. Aber wer kann denn eine Garantie dafür geben, daß diese Form der Schutzmaßnahme dann zum Erfolg führt? Möglicherweise reagiert der Geiselnehmer völlig unerwartet und der Staat kann diese Gewalteinwirkung gegenüber dem Opfer nicht mehr verhindern - hätte dies vielleicht noch gekonnt, wenn eine auch entsprechend riskante Befreiungsaktion zu einem früheren Zeitpunkt gestartet worden wäre.
Und so könnte auch eine Folterandrohung, wenn der Bedrohte sich zum Beispiel zum Schein bedrohen läßt, aber eine falsche Auskunft erteilt, völlig ins Leere laufen. Der Bedrohte versucht dann vielleicht Zeit zu gewinnen, die dann auch gegen das Opfer läuft.

Das Dilemma ist meiner Meinung nach in erster Linie nicht die Tatsache, daß der Staat nicht weiß ob und wie er das Opfer und den Täter schützen soll, und wie dies dann genau geschehen soll, sondern daß es überhaupt zu solchen Situationen kommt. Daß es dann auch immer wieder geschehen kann, daß der Staat zu spät kommt und machtlos ist, das Leben des Opfers noch schützen (retten) zu können, wird wohl die Praxis bleiben. Man kann nur danach streben, den Umfang dessen durch allgemeine Senkung der Kriminalitätsrate und eine Vergrößerung der Prävention so gering als möglich zu bekommen.

Wenn man Folter ablehnt, muß man auch Folterandrohung ablehnen.
Wenn man Terrorismus ablehnt - um einmal ein vergleichbares Beispiel zu bringen - muß man auch Terrorismusandrohung ablehnen.

miljas
Zuletzt geändert von miljas am 30.06.2008, 19:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon miljas » 01.07.2008, 10:30

Hallo toggle,

nachdem ich es noch einmal überschlafen habe:
Dieses angebliche Dilemma festzustellen, ist doch wirklich schon eine Art (gerichtlicher oder gesetzgeberischer) Kapitulation vor dem Verbrecher und gegenüber den eigenen (polizeilichen) Möglichkeiten des Staates.

Zutreffend ist es, daß im Falle der sich gerade ereignenden Gewalt Notwehr mit geeigneter Gegengewalt zulässig ist und auch eingesetzt werden muß, um das Opfer zu schützen.
In dem Falle jedoch, daß jemand sich im Gewahrsam der Polizei befindet, lebenswichtige Informationen besitzt und diese nicht weitergeben will, sollte die Polizei mehr denn je befähigt sein - befähigt durch Talent und durch Qualifikation mit einer ausgezeichneten Ausbildung und gemachten Erfahrungen - zur psychologisch erfolgreichen Einflußnahme auf den Täter. Welches Gericht kann und wird denn im Nachhinein prüfen (und prüfen können), ob jeweils auf höchstem oder mindestens ausreichend hohem Niveau gehandelt wurde?
Ich habe jetzt keine genaue Kenntnis vom Fall Gaefgen, aber wenn man dem Täter hätte klarmachen können, daß es im Falle eine Kooperation vielleicht um die Alternative einer lebenslänglichen oder einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung gehen kann (also Wegfall der Möglichkeit des Freikommens nach einer gewissen Mindeszeit) oder welche Alternativen auch immer sich aufgezeigt hätten, dann hätte man ihn vielleicht auch ohne Androhung von Folter zur Auskunft bewegen können.

Am Ende muß ein Täter so oder so davon überzeugt werden, daß er kein Verbrechen verüben darf - auf diesem Weg steht die Polizei mit ihrer Zuständigkeit an dieser Stelle, die nicht nur der Platz der Verbrechensbekämpfung bzw. -verhinderung ist, sondern auch derjenige des Beginns der Verbrechensbearbeitung, an einer besonders verantwortungsvollen Position.

Viele Grüße

miljas
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Beitragvon Gast Meer » 02.07.2008, 07:20

lieber toggle,

das ist wirklich sehr interessant, vor allem das Interview von Prof. Merkel (Universität Hamburg), welcher Folterandrohungen des Staates billigt als
Recht auf Notwehr zugunsten des Opfers (in diesem Beispiel zugunsten des Kindes).

Gleichzeitig hat aber sowohl der Täter, als auch das Opfer ein Recht auf eine menschenwürdige Behandlung, die im Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Ja, da kann ich Prof. Merkel nur zustimmen, dass da mal was Exaktes dabei herausgearbeitet und formuliert wird.

lieben Gruß Meer
Gast Meer
 

Beitragvon toggle bis 12. Jan. 2012 » 02.07.2008, 17:57

miljas hat geschrieben:Hallo toggle,

wenn eine Folterandrohung gegen keine Rechtsnorm verstößt, ist eine solche Androhung dennoch fragwürdig, weil sie meiner Meinung nach einerseits eine Straftat ankündigt (Bedrohung) und andererseits vom Bedrohten als nichtig betrachtet werden kann, weil es bei der auf der staatlichen Seite zu erwartenden Achtung des Rechts (keine Folter) offensichtlich eine leere Drohung ist.

Und zur Frage der Notwehr würde ich sagen, daß dies in vielen anderen Fällen dann genauso unklar ist, was genau zu tun ist, um bedrohte Menschen zu schützen. Wenn zum Beispiel eine Geiselnahme abläuft, dann wird meist erst einmal mit dem Geiselnehmer verhandelt, um nähere Informationen über die Situtation und den Zustand des Täters zu erlangen. Aber wer kann denn eine Garantie dafür geben, daß diese Form der Schutzmaßnahme dann zum Erfolg führt? Möglicherweise reagiert der Geiselnehmer völlig unerwartet und der Staat kann diese Gewalteinwirkung gegenüber dem Opfer nicht mehr verhindern - hätte dies vielleicht noch gekonnt, wenn eine auch entsprechend riskante Befreiungsaktion zu einem früheren Zeitpunkt gestartet worden wäre.
Und so könnte auch eine Folterandrohung, wenn der Bedrohte sich zum Beispiel zum Schein bedrohen läßt, aber eine falsche Auskunft erteilt, völlig ins Leere laufen. Der Bedrohte versucht dann vielleicht Zeit zu gewinnen, die dann auch gegen das Opfer läuft.

Das Dilemma ist meiner Meinung nach in erster Linie nicht die Tatsache, daß der Staat nicht weiß ob und wie er das Opfer und den Täter schützen soll, und wie dies dann genau geschehen soll, sondern daß es überhaupt zu solchen Situationen kommt. Daß es dann auch immer wieder geschehen kann, daß der Staat zu spät kommt und machtlos ist, das Leben des Opfers noch schützen (retten) zu können, wird wohl die Praxis bleiben. Man kann nur danach streben, den Umfang dessen durch allgemeine Senkung der Kriminalitätsrate und eine Vergrößerung der Prävention so gering als möglich zu bekommen.

Wenn man Folter ablehnt, muß man auch Folterandrohung ablehnen.
Wenn man Terrorismus ablehnt - um einmal ein vergleichbares Beispiel zu bringen - muß man auch Terrorismusandrohung ablehnen.

miljas
Hallo miljas,

meiner Ansicht nach hat Prof. Merkel in dem verlinkten Interview exzellent herausgearbeitet, worin nach seiner Überzeugung das Dilemma besteht und ich muss ihm da beipflichten, dass über die Kollision zweier Rechtsansprüche gesprochen werden muss, wenn es sich um so einen Fall wie den der Entführung und Ermordung des jungen Metzler handelt. Wenn Du den Fall nicht kennst, wäre es sicherlich nicht schlecht, Dich damit vertraut zu machen, denn es geht speziell um Situationen, wie sie in einem solchen Fall vorliegen.

Grundsätzlich halte ich Folter wie Folterandrohung für nicht diskussionswürdig, aber noch genausowenig halte ich Enführung mit Mordandrohung und Mord für diskussionswürdig. Auch dazu bleibt zu dem, was Prof. Merkel sagt, nichts hinzuzufügen.

Vor allem finde ich es absolut geschmacklos, was der Mörder Gäfgen tat und tut. DAS ist für mich der eigentliche Skandal, nicht was Daschner und sein Hauptwachtmiester taten. Vor letzteren habe ich große Hochachtung, weil sie sich - in einem tragischen Dilemma vom Staat alleingelassen - für einen Weg entschieden haben, der sie selbst auf die Seite des Unrechts brachte, obwohl sie im Grunde nur zum Mittel der Nothilfe für den sich vermeintlich noch am Leben befindlichen Metzler griffen, wie Prof. Merkel herausstellt.

Hört Euch das Interview noch einmal, zweimal, dreimal an. Ich finde es brilliant. Auch das, was Prof. Merkel zu der Politikerin Antje Völlmer und anderen hinsichtlich ihrer Auffassung von absoluten Verboten zu sagen hat. Das, miljas, gibt Dir die Antwort auf Deinen Satz
Dieses angebliche Dilemma festzustellen, ist doch wirklich schon eine Art (gerichtlicher oder gesetzgeberischer) Kapitulation vor dem Verbrecher und gegenüber den eigenen (polizeilichen) Möglichkeiten des Staates.
Und darum geht es Prof. Merkel letztlich: Die Diskussion über ein Tabuthema in Gang zu bringen. Da ist die dritte Macht in unserem Staate, da ist die Judikative gefordert.

Gruß
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Beitragvon toggle bis 12. Jan. 2012 » 02.07.2008, 18:13

Gast Meer hat geschrieben:lieber toggle,

das ist wirklich sehr interessant, vor allem das Interview von Prof. Merkel (Universität Hamburg), welcher Folterandrohungen des Staates billigt als
Recht auf Notwehr zugunsten des Opfers (in diesem Beispiel zugunsten des Kindes).

Gleichzeitig hat aber sowohl der Täter, als auch das Opfer ein Recht auf eine menschenwürdige Behandlung, die im Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Ja, da kann ich Prof. Merkel nur zustimmen, dass da mal was Exaktes dabei herausgearbeitet und formuliert wird.

lieben Gruß Meer
Liebe Meer,

vor allem gilt eins: Jeder hat das Recht, sich mit ALLEN! Mitteln dagegen zu wehren, dass ihm das Leben genommen wird. Und keiner hat das Recht, einen anderen zu töten. Es sei denn der Staat gibt klare Ausnahmen vor, wie sie Prof. Merkel in seinem Interview ja anführt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob Prof. Merkel eine Folterandrohung wirklich billigen würde. Aber er weist auf das in solchen Fällen entstehende Dilemma hin und macht deutlich, daß der Opferschutz im Falle einer Kollision möglicherweise vor dem Täterschutz kommen sollte, daß man zumindest darüber diskutieren muss, damit Ermittler wie Herr Daschner und sein Untergebener nicht mehr in Situationen kommen, in denen sie für sich selbst tragische Entscheidungen treffen müssen. Und er nennt gute Argumente, warum man unter Umständen, wie den in dem Fall von Metzler vorliegenden, eine Folterandrohung oder sogar noch mehr straffrei stellen könnte. Das macht er deutlich in seinem Hinweis darauf, dass ein Täter, der einen anderen unmittelbar mit dem Tode bedroht, jede Form der Gewalt und des Schmerzes hinnehmen muss, wenn es darum geht, die Tötung des Opfers abzuwenden. Dass dies als das allerletzte Mittel gesehen wird und dass vor der Anwendung dieses Mittels alle anderen Möglichkeiten auszuschöpfen sind, steht außer jeder Frage! Im Fall des Mörders Gäfgen waren bereits alle anderen Mittel ausgeschöpft, und es ging "nur" noch um die Rettung des Opfers.

Gäfgen ist Recht (im juristischen Sinne) geschehen, kann ich nur sagen und mich damit dem Frankfurter Gericht und dem Urteil des Europäischen Gerichts anschließen.

Lieben Gruß
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Beitragvon Starlight » 02.07.2008, 20:09

Ich frag mich halt immer, was für Chancen hat der Metzler-Junge gehabt und hat da jemand gefragt ob er gefoltert wurde???? Welches Recht gilt denn nun mehr??? Was ist überhaupt noch Recht??? Es gibt Situationen dafür gibt es kein Gesetz!!!

Starlight :t291:
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Beitragvon Gast Meer » 02.07.2008, 21:37

Sehr richtig, liebe Starlight,
das ging mir dabei auch durch den Kopf.
Zitat:
Ich frag mich halt immer, was für Chancen hat der Metzler-Junge gehabt und hat da jemand gefragt ob er gefoltert wurde????
Gäfgen scheint sich dessen selbst nicht bewusst zu sein, dass er ja zuvor diesem Jungen bestimmt auch ge- und bedroht hat und ihn dann ja noch ermordet hat und wir wissen nicht, ob das schmerzlos geschehen ist.
Wenn dann der Staat Mittel der Androhung benutzt, um die Situation zu klären, des Schutzes wegen, kann er ja noch froh sein, dass er hier lebt und nicht mit Gleichem behandelt wird, wie er es selbst tat, also zu Tode kommt, wie in anderen Ländern, als Strafe für seine Tat.

Ich finde das Urteil des Europäischen Gerichts auch ok und das Interview von Prof. Merkel wirklich auch brilliant,
nochmal danke an toggle.

LG Meer
Gast Meer
 

Beitragvon miljas » 04.07.2008, 21:48

Hallo toggle,

ich habe damals von Ferne von dem Fall gehört in den Nachrichten. Und jetzt noch einmal nachgelesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Magnus_Gäfgen

(Bitte den Link separat aufrufen - wegen des "ä" im Seitennamen, gibt es ein Problem es von hier aus direkt zu verlinken)


Sicher ist dieser Gäfgen ein Täter, bei dem eine besondere Konstellation der Tat vorzufinden ist.
Daß er die Entführung plante und durchführte, um das Geld zu erpressen, ist schon scheußlich genug. Daß er aber das Kind ermordete und dann die Erpressung durchführte, ist ja nun eine Steigerung der Grausamkeit, wenn man überhaupt eine Abstufung in der Betrachtung vornehmen kann. Und dann abschließend auch nach Festnahme durch die Polizei hartnäckig zu schweigen bzw. den Verdacht auf andere zu lenken - ich kann angesichts all dieser Tatsachen auch Verständnis dafür entwickeln, daß in dieser Situation bei der Polizei die Geduld zum Ende kam. Es ist sicher auch eine Ausnahmesituation, die in dieser Form nicht alle Tage vorkommt - in der Regel überrascht man den Verbrecher auf frischer Tat oder man versucht das Verbrechen im Nachhinein aufzuklären.

Ich habe keine Informationen, außer dem Wikipedia-Artikel, wie das Verhör bei der Polizei genau abgelaufen ist. Ohne Zweifel ist dieser Gäfgen, wie gesagt, ein besonders schwieriger Täter (er verfügt ja auch über juristische Kenntnisse dank seines Studiums). Dennoch wäre es Aufgabe der Polizei gewesen, auch unter diesem Zeitdruck, eine effektive Verhörstrategie einzusetzen. Im Wikipedia-Artikel ist auch zu erfahren, daß Gäfgen nun zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde und eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde. Das bedeutet, daß er nicht nach 15 Jahren auf Bewährung frei kommen kann. Ich würde sagen, die besondere Schwere der Schuld besteht unter anderem auch darin, die Kooperation mit der Polizei nach der Festnahme verweigert zu haben.

Am Ende ist mir nicht klar, was der Professor Merkel nun eigentlich genau möchte. Das Dilemma feststellen, daß der mit Mord drohende Entführer nicht so einfach oder vielleicht sogar nicht zur Einstellung des Mordes bewegt werden kann? Oder möchte er dem Täter mit Folter drohen - rein theoretisch ist das sinnlos, wie ich schon feststellte, weil es ein Folterverbot gibt. Wenn der Täter mit Verweis darauf, die Folterandrohung zurückweist, ist die Polizei auch nicht weiter gekommen.
Und wenn der Täter tatsächlich gefoltert werden würde, könnte er irgendwelche Lügen von sich geben, um die Folter zu beenden. Dann würde die Folter unter Umständen sogar kontraproduktiv werden können, weil die Polizei dann Kräfte in die falsche Richtung zur Überprüfung losschicken müßte, anstatt sich auf eigene weiterführende Ermittlungen zu konzentrieren. Ja - in diesem Fall hat der Täter nach der Drohung den Widerstand aufgegeben. Es mag sein, daß es in einer gewissen Anzahl von Fällen dem Opfer auch Rettung bringen könnte. Ich bleibe dennoch der Meinung, daß die Polizei sich grundsätzlich davon fern halten sollte. Und auch der Staat sollte darauf hinwirken, die Professionalität der Polizei immer wieder auf höchstes Niveau zu bringen, um auch mit derartigen Tätern in solchen Situationen erfolgreich, also im Sinne des Opferschutzes umgehen zu können, mit allen anderen Mitteln außer Folter und Folterandrohung.
Kürzlich las ich, wie man ein Verhör vornehmen muß - man muß den zu Verhörenden möglichst schnell in seiner Persönlichkeit analysieren und dann die geeigneten Vernehmer ins Spiel bringen. Und das müßte man sich genau anschauen - was hat sich in diesem Verhör hier abgespielt bis es zu der Folterdrohung kam. Hat man zum Beispiel eine Frau eingesetzt, um den Mann zu verhören? Wenn ja, welchen Typ von Frau hat man eingesetzt - einen mütterlichen oder einen attraktiven? Welche Männer kamen zum Einsatz beim Verhör? Wie waren die Fragen und die Antworten und die verhörstimmung genau - wer weiß denn das genau? Ich nicht. Das Gericht ? Am Schluß wird dann ein Protokoll gemacht, in dem alles zusammengefaßt wird, oder ? Oder wird alles wortwörtlich übermittelt, die Tonbandaufzeichnungen oder sogar Videoaufzeichnungen ?

Ich habe kürzlich ein Interview mit einem ehemaligen Statthalter der N'drangheta in Deutschland (einem Deutschitaliener) angesehen und angehört. Es ist hochinteressant. Abgesehen von allen anderen Einzelheiten war für mich interessant, wie die Karriere dieses Menschen erst so richtig ins Laufen kam - mit und nach einem Aufenthalt in einem deutschen Gefängnis!!!! Und als er dann in Deutschland vor relativ kurzer Zeit nach mehr als 20 Jahren festgenommen wurde und dann alles gestanden hat, um heraus zu kommen aus dieser Verbrecherorganisation, spielte der vernehmende Polizeibeamte eine große Rolle. Offenbar ist er dem Täter im Verhör bestens begegnet - trotz der scheußlichen Verbrechen (30 Morde!) mit großem Respekt.

http://www.br-online.de/daserste/report/archiv/2008/00461/

Bei allem Respekt für den Professor und die Rechtsnormen und seine Darstellung der Problematik - aber ich bleibe bei meiner Ablehnung von Folter und Folterandrohung, und es wäre es sehr interessant etwas Genaueres zu meinen Fragen zu dem Fall zu erfahren.

Viele Grüße

miljas
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Beitragvon miljas » 05.07.2008, 01:54

Hallo noch einmal,

also mal abgesehen davon, was man in dieser Situation noch hätte tun können, um das Leben des Kindes zu retten - tatsächlich war das ja leider nicht mehr möglich, wie man im Nachhinein erfahren mußte - ich weiß nicht, wie einige von Euch da reden und ob ihr wißt, was Ihr da redet.
Gäfgen hat ein Verbrechen begangen und wurde dafür zu einer Strafe verurteilt.
Aber kann man einen solchen Täter als Verbrecher bezeichnen?
Natürlich - die Gesezte und die Rechtsnormen sehen dies so vor.
Ich persönlich sehe es so - ein Verbrecher ist vielleicht jemand, der irgendwo etwas entwendet. ein paar Tausend oder mehr Euro oder Gegenstände mit entsprechendem Wert.
Dieser Mann ist in diesem Sinne aber doch kein >einfacher< Verbrecher - was er getan ist doch viel schlimmer. Der ist doch sehr krank!
Und woher seine Krankheit kommt, weiß ich nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit auch aus seiner näheren und weiteren Umgebung.
Und am Ende kann ich nur alle bedauern - das Kind, die Eltern und die Verwandten, und diesen Kranken, diesen kranken Menschen.
Und auch die Polizei - es ist ja trotz Professionalität alles nicht so einfach.
Der Druck ist groß und die Erlebnisse gehen auch dort an den Leuten nicht spurlos vorüber.
Jemanden wegzuschieben oder festzuhalten, das mag noch angehen.
Jemanden zu schlagen, oder gar auf ihn zu schießen oder ihn sogar zu erschießen - das ist keine menschliche Aufgabe!
Und deshalb sollte vielleicht auch der Herr Professor Merkel neben seinen Worten als Rechtsphilosoph noch ein paar Worte als Mensch verlieren - das vermisse ich in diesem Interview.
Absolut.
Die Problematik des polizeilichen Verhörs nicht angesprochen, und die menschliche Dimension auch nicht angesprochen!
Und deshalb kann von Brillianz summasumarum meiner Meinung auch überhaupt keine Rede sein.


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