Hallo,
es ist Wahlkampfjahr (gähn, gähn)...
Und dann ist natürlich auch Gysi wieder mal mode.
Er stört mit seiner Partei die Wahlmampfkreise der anderen "Yedi-Ritter".
Man kann zu Gysis politischen Ansichten denken und sagen, was man will,
aber dieses erneute Stasi-Theater im Zusammenhang mit seiner Person ist
relativ peinlich.
Worum geht es eigentlich?
Gysi gab am 15.2.1989 den Spiegel-Korrespondenten in der DDR ein Interview.
Dieses Interview erschien einen knappen Monat später im Spiegel 11/1989:
"Wir haben unterschiedliche Gewalten" (Text, Spiegel-Interview, 13.3.1989)
Im vorigen Jahr ist aus dem Stasi-Unterlagen-Meer ein Dokument aufgetaucht,
das am 16.2.1989 entstanden ist. Es soll das Protokoll eines Gesprächs von
Gysi mit zwei Stasi-Offizieren über dieses Interview mit den Korrespondenten
des Spiegel sein.
"Gysi verschwieg Kontakte zur DDR-Staatssicherheit" (Text, "Welt" vom 1.4.2012
In dem Beitrag der Welt steht ja nun eine ganze Menge. Von dem Stasi-Dokument
ist eine Seite veröffentlicht. Schlecht lesbar - ich kann mir vorstellen warum:
das DDR-Papier war schlecht, die Farbbänder der Schreibmaschinen auch.
Ich habe die Seite vom Bildschirm fotografiert und ein Negativ erstellt und versucht,
es etwas zu schärfen mit meinen einfachen Tools:
[spoil]
Foto: ASV/BStU; bearbeitet zur Verbesserung der Lesbarkeit (Negativ, geschärft)[/spoil]
Und was kann man dort nun lesen?
Man kann dort lesen, daß zwei Herren mit militärischen Rängen ein Gespräch mit
Gysi führten. Daß es ein Stasi-Protokoll ist, kann man dem Kopf des Schreibens
entnehmen. Aber dann geht es schon einmal los mit seltsamen Abkürzungen,
die dort herumgeistern:
"Abteilung XX/4"
"Abteilung XII MfS: erfaßt für HA XX//9"
Ersteres scheint die konkrete Arbeitsstelle der beiden Herren zu sein.
Letzteres bezieht sich auf Gysi. Aber was bedeutet es genau?
Ich habe damals erst so um 1988/89 von Gysi gehört.
Vorher kannte ich den nicht. Wahrscheinlich hörte ich deshalb von ihm damals,
weil er durch diese Kontakte zu den Westmedien bekannter wurde.
Es ist natürlich nicht völlig ausgeschlossen, daß Gysi mit der Stasi
zusammengearbeitet hat. Dagegen spricht allerdings, daß er als
Rechtsanwalt seinen Mandanten verpflichtet war. Warum sollte er
seine Möglichkeiten, den Mandanten zu helfen (die ja nun oft Probleme mit
dem DDR-Staat hatten) durch Kontakte mit der Stasi einschränken
oder gar zunichte machen? Zum eigenen Vorteil? Wenn der Mann
auf wirklich eigenen Vorteil bedacht wäre, hätte er sich nach der
Wende in eine rennomierte Anwaltskanzlei begeben und wäre
heute stinkreich, ein wahrscheinlich auch angesehener Anwalt, für
dessen Vergangenheit in der DDR sich niemand interessieren würde.
Sich auf solch blöde Spiele mit der Stasi
einzulassen - dazu erscheint mir der Mann zu intelligent. Außerdem
hatte er durch seine familiäre Herkunft (sein Vater war 'Botschafter
in Italien und Staatssekretär für Kirchenfragen) sehr gute Kontakte
in den Parteiapparat, um seine Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern.
Das war absolut ausreichend.
Daß umgekehrt die Stasi ein außerordentlich hohes Interesse
daran hatte, so viele Informationen wie möglich von Gysi
abzuschöpfen, ihn auch zu überwachen - das ist mir sonnenklar.
Diese Leute wollten total informiert sein, möglichst bis zur
Mükrosekunde und bis zum Milligramm.
Und wie macht man so etwas, wenn man an den eigentlichen
Informationsträger nicht über ihn direkt herankommt? - Man hört
seine Telefongespräche ab, man liest seine Post, man zapft
möglichst viele seiner Gesprächspartner an (oder spricht mit
ihm selbst unter einer falschen oder getarnten Identität). Wenn
man einen Maulwurf direkt in seinem Büro installiert hätte - wie ideal...
(Fotokopien aus dem Nato-Hauptquartier, dem
Bundeskanzleramt und was weiß ich woher noch alles, sind ja
auch nach Ostberlin zur Stasi gelangt - da war wohl das
Abfotografieren von Dokumenten aus
der Gysi-Rechtsanwaltskanzlei die kleinere "Übung".
Nun hat ein ehemaliger Richter eine Anzeige erstattet, auf der Grundlage
dieses diffusen Dokumentes, dessen Echtheit nur vermutet werden kann
("Gespräch mit Dr. Gysi"). Daß diese Informationen tatsächlich geflossen
sind, das ist zu erkennen. Auch inhaltlich scheinen mir diese Darstellungen
genau das zu beschreiben, was damals Sache war. Aber daß sie so direkt
von Gysi "willentlich und wissentlich" an die Stasi
gingen - das muß erst einmal bewiesen werden. Und wie dünn die Beweislage
ist, zeigt sich nun seit mehr als 20 Jahren. Der Herr Bundespräsident Gauck
hatte seinerzeit vermutet, daß gerade im Falle Gysi alle Akten
vernichtet wurden, weil man dem Mann eine Perspektive in der Politik
der Nach-Wende-Zeit zutraute. Alles Spekulation und heiße Luft bisher.
(Die aktuelle Aussage des aktuellen Chefs der Stasi-Unterlagenbehörde,
Roland Jahn, daß es "viele Unterlagen zu Gysi" gibt, scheint dem auch
zu widersprechen.
"Unterlagen sind im Fall Gysi reichlich vorhanden" (Die Welt, 10.2.13) )
Ich bin gespannt, was aus den Ermittlungen herauskommt.
Es würde mich schon interessieren, wie genau der Hergang war.
Dazu wird aber wahrscheinlich nichts bekannt werden.
Diese hauptamtlichen Stasi-Leute haben fast alle
keine Lust sich öffentlich zu äußern.
PS.:
Auf Yotube gibt es den Film des NDR von 2011:
"Die Akte Gysi" (Doku, NDR) 43:45 min
In diesem Film kommen nur Contra-Meinungen zur Gysi-Frage zu
Wort. Das ist natürlich auffällig. Da hätte ich als Betroffener auch
ein Interview abgelehnt bzw. vermieden. Die Gegner konzentrieren sich
alle auf ihren eigenen Fall und haben natürlich nach so langer Zeit sehr gute
Erinnerungsmöglichkeiten. Gysi müßte das insgesamt alles, und vieles ist
seitdem geschehen, erinnern.
Außerdem, warum eigentlich zwei IM-Decknamen? Wollte die Stasi sich selbst
verwirren?
Gut, das wäre nicht das erste, und auch nicht das letzte Mal
in Deutschland, daß sich Geheimdienst- und Sicherheitstbehörden gegenseitig
verwirren und nicht informieren...
Hier ein Link zu einem Offenen Brief von Rudolf Bahro - des ersten Mandanden
von Gysi:
Rudolf Bahro über seinen Anwalt Gysi (Berliner Zeitung, 7.6.1995)
Ich denke, es ist zutreffend, was Bahro sagt.
Hätte Gysi knallhart "anwaltlich" agiert, hätte man ihn ganz schnell abserviert
und es wäre für die Betroffenen kaum besser geworden. Ob Gysi in allen
Fällen das maximal Mögliche erreichte - das ist jeweils eine berechtigte Frage.
Der Historiker Knabe stellt merkwürdige Forderungen.
Er unterstellt Gysi Stasi-Tätigkeit und verlangt im gleichen Atemzug, daß Gysi
Mandanten-Akten "auf den Tisch" legen solle.
Der Fall von Güstrow ist natürlich schlimm, sowohl in dem eigentlichen
Geschehenen als auch in dem nachfolgenden Vertuschungsversuch. Aber
das kann man nicht Gysi vorwerfen. Ich weiß nicht, was Gysi dann in
dem Fall genau versuchte. Eine Anklage oder gar Verurteilung des Täters
war sicher für Gysi nicht zu erreichen. Das ist völlig klar.
Da hätte er auch gleich seine Anwaltslizenz abgeben können,
wenn er das versucht hätte.
Erfahrungsbericht von Heiko Lietz, damals Pastor in Güstrow:
"Stasi-Wachmann tötet zwei Güstrower"
(Text, pdf-Format, Horch und Guck 1/2008)
Daß Frau Wollenberger (jetzt wieder Lengsfeld) nach ihrer Festnahme
1988 in die DDR entlassen werden sollte, wundert mich. Neulich lief
gerade auf RBB der Film über Bärbel Bohley und Werner Fischer,
die auch wegen der Protestplakat-Aktion auf der Luxemberg-
Liebknecht-Demo im Januar 1988 in Ostberlin verhaftet worden waren.
In dem Film wurde gesagt, daß es die Alternative von Prozessen
oder der Ausreise und der zeitweiligen Aufenthalte im Westen gab.
Hier eine private Chronik der damaligen DDR-Ereignisse, in der Vera Lengsfeld zu
Wort kommt:
"Heimkehr in ein fremdes Land?"
Unter der Unterüberschrift (ganz unten) "Was haben Sie unternommen,
um in der DDR Ihr Recht einzuklagen?" ist von ihrem damaligen Anwalt
Schnur
die Rede. Gysi war überhaupt nicht ihr Anwalt. Auch ist nicht die Rede von Freilassung
überhaupt, sondern von Prozeß und Verurteilung. Seltsam...
Und daß die Frau Havemann nun meint, in ihrer Wohnung gab es keine
Abhöreinrichtung... wer hat das wie geprüft? Das Grundstück der Havemanns
in Grünheide, östlich Berlins, war ständig und umfassend Stasi-überwacht.
Die sollen sogar ein Nachbargrundstück bezogen haben. Unter solchen Umständen
ist (für mich) die Verwanzung des Havemann-Hauses hochwahrscheinlich.
Wie macht man so etwas? Ganz einfach: Da gibt es eine Telefonstörung und
dann kommt ein Techniker... Oder eine Wasserstörung. Oder das Haus
ist wegen Besuch auswärts für Stunden verlassen. Wenn Havemann nicht
ständig abgehört wurde, wer dann sonst?
Abschließend noch:
Gysis Redebeitrag in der Aktuellen Stunde des Bundestages 28.5. 2008 6:43 min
Das sind auch noch ein paar interessante Fakten, die Gysi selbst in
dem Zusammenhang nennt.
Warum sollte die Stasi erklären, daß sie an einer näheren Zusammenarbeit
nicht interessiert ist, wenn sie bereits mit ihm zusammenarbeitet?
Das kommt aus der gleichen Richtung wie die Frage, warum es zwei
Decknamen gibt. Es paßt alles nicht zusammen, auch wenn sich manche
wünschen, daß man einen "bösen Buben" hat, den man nun endlich
loswerden kann.
(Und das sage ich nicht als Fan von der "Die Linken"-Partei.
Nein, ich bin überhaupt kein Freund von all dem Parteien-Leben.
In der einen Frage hat der eine Recht, in der anderen der andere.
Anstatt die besseren Argumente zu suchen und sich gemeinsam darauf
zu einigen, wird Parteipolitik gemacht. Langfristig gesehen wird das
keine Perspektive haben. In guten Firmen gibt es auch keine "Partei-Abteilungen".
Wenn ein neues Projekt begonnen wird, kommt ein neues Team zusammen.)
PS.:
Frau Havemann soll gesagt haben (so wird es in der Doku "Die Akte Gysi"
vermittelt), daß "Gysi das Leben der Familie Havemann vergiftet" hätte.
Das ist ganz schön starker Tobak.
Ich kenne nun nicht die Umstände des Lebens der Familie Havemann
und weiß nicht, was sie damit genau meint. Wenn sie aber meint, daß
Gysi ihren Mann etwas gezügelt hat, dann muß man sich doch wirklich fragen,
was sie für Vorstellungen hatte. Als Gysi die Sache übernahm, war
Havemann schon etwa 15 Jahre ausgegrenzt. Das begann schon unter
Ulbricht Anfang/Mitte der 60er. Ende 70er unter Honecker war es
nach der Biermann-Ausbürgerung fast noch schlimmer geworden.
Was sollte Gysi denn da machen? Dem Herrn Havemann sagen:
"So, jetzt machen Sie mal richtig einen auf Konfrontation! Ich bin Ihr
Anwalt und haue Sie dann überall raus." Das wäre wirklich völllig
realitätsfern gewesen. Das Grundstück von Havemann wurde von der
Polizei und der Stasi belagert und Havemann war schon fast 70 und
wahrscheinlich auch gesundheitlich nicht mehr so gut drauf.
Auch rückblickend muß man doch sagen, daß der DDR-Staat noch
10 Jahre durchgehalten hat und daß Havemann wenige Jahre später
starb. Da war der Kompromiß, den Gysi offenbar ausgehandelt hat,
eine gute Sache.
PS.2:
Jetzt ist zu lesen, daß der Sprecher von Gysi einräumt, daß Gysi
ein offizielles Gespräch mit den Leuten von der Stasi hatte:
ZDF hat geschrieben:Am Sonntag hatte Gysis Sprecher zugegeben, dass es ein Gespräch
mit der Stasi über das Treffen mit den Journalisten gab.
Anlass soll ein Besuch von Vertretern der Berliner Staatssicherheit
gewesen sein, die zu Gysi einen offiziellen Kontakt herstellen wollten,
weil er gerade Vorsitzender des Berliner Rechtsanwaltskollegiums
geworden war. "Gregor Gysi führte ein Gespräch und hat dabei
offensichtlich auch von seinem bereits gegebenen Interview mit
dem Spiegel erzählt", erklärte Fraktionssprecher Hendrik Thalheim.
Gysi hatte in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" bereits
2008 von dem Besuch eines Staatssicherheitsmanns erzählt, allerdings
so: "Den habe ich an meinen Stellvertreter delegiert, dann habe ich
nie wieder mit ihm gesprochen."
Wie gesagt, ich möchte einmal das gesamte Dokument lesen,
was dort im Stasi-Archiv gefunden wurde.
Daß diese Leute von der Stasi auch offiziell aufkreuzten, kann ich bestätigen.
Wenn es um Dinge der Wirtschaft oder eines wichtigen Arbeitsgegenstandes
ging, war man denen gegenüber auch auskunftspflichtig. Die hatten ja
Polizeicharakter und nannten sich nicht umsonst "Ministerium
für Staatssicherheit". Zumindest das gesamte Staats- und
Wirtschaftsleben war als "Sicherheitszone" definiert (aber wie nun heute
bekannt ist, war das gesamte gesellschaftliche Leben eine einzige
Sicherheitszone). Wie weit man dann Auskünfte zu konkreten Personen
gab - das mußte jeder für sich selbst entscheiden.
Möglicherweise ist Gysi an dieser Stelle zu weit gegangen.
Nach dem, was ich bisher von dem Dokument lesen konnte, scheint
mir auch ein gewisses Machtspiel vorzuliegen. Gysi hatte keine Lust, sich
im Auftrag der DDR-Parteiführung mit Westjournalisten zu treffen.
Für die Damen und Herren aus der SED-Parteizentrale war es natürlich
schön bequem jemanden zu haben, der nicht auf den Mund gefallen
ist. Aber für Gysi selbst war das riskant. Hätte er seine große Klappe
zu weit aufgerissen, hätte er auch in Ungnade fallen können.
Darauf deutet auch die Bemerkung, daß niemand aus der zuständigen
Abteilung "Staat und Recht" den Spiegel-Beitrag vor der Autorisierung
gegenlesen wollte. So wollte er vielleicht diese Stasi-Leute, wenn sie
sich schon einmal einfinden, ein wenig "anspitzen", sie auf die "Gefährlichkeit"
der Westmedien wieder aufmerksam machen, damit sie wiederum
die Auftraggeber in der Parteizentrale beeinflussen. So war es
praktisch üblich - Wirkung und Wechselwirkung, wobei man nie
sicher sein konnte, ob etwas, und was dann genau geschieht.
Aber so haben wir das prinzipiell und allgemein auch gemacht.
Wenn einmal ein "hohes Tier" im Betrieb aufkreuzte, haben wir
dieses oder jenes angesprochen, was schon seit langem nicht
von der Stelle kam, in der Hoffnung, daß vielleicht ein wenig
Bewegung entsteht.