Liebe Willi, Liebe Leser,
man kann man sicher viel darüber diskutieren, in welchem Zustand sich unser Verhältnis zum
Tod befindet und ob es gut ist oder schlecht. Eine Abneigung gegen den Tod ist zunächst eine
natürliche Befindlichkeit. Ich glaube, es wird keinen Menschen geben, der von vornherein sagen
würde: "Prima. Einverstanden." Sicher, wenn man es über die Breite der Menschen betrachtet,
gibt es durchaus auch eine "kulturelle Verstelltheit", wie Du es bezeichnest. Es ist eine
Fehlentwicklung eingetreten, daß sich die absolute Ablehnung immer stärker zur dominanten
Sichtweise entwickeln konnte, weil die gemeinschaftliche Sichtweise darauf als auf etwas
Unabänderliches und ins Leben zu Integrierendes immer mehr zurückgedrängt wurde. Die
Möglichkeiten der Technik und des Lebens wurden immer grenzenloser und da paßten weder
die alten Gemeinschaften und auch nicht die (Todes-)Grenze.
Dennoch meine ich, daß diese Knochen-Kunst
schon ein wenig ungewöhnlich ist. Denn sie stammt ja nun aus einer Zeit vor 150 Jahren,
als die Moderne noch nicht so modern war wie heute (
)
Wie gesagt, die Anlage von Beinhäusern ist mir schon
einleuchtend. Es gibt auch bei Wikipedia einen Artikel über Beinhäuser, in dem gesagt wird,
daß diese vor etwa 1000 Jahren in den Städten entstanden, weil die Friedhöfe belegt waren.
Daß die Knochen aufbewahrt wurden, ist religionsbegründet logisch. Man glaubte
(und es wird bis heute daran geglaubt) an die Auferstehung. Und ohne Knochen geht es
nicht im christlichen Kulturkreis! Aber sollte man sie - auch aus den gegebenen religiösen
Gründen - nicht einfach in Ruhe liegen lassen?
http://der-schwarze-planet.de/knochenkirche-bei-prag-beinhaus-kutna-hora/
Daß es gewisse räumliche Anordnungen der Knochen im Laufe der Zeit gab - hier ist die
Rede von Pyramiden - das kann man sich auch leicht vorstellen, weil der ebenfalls
begrenzte Raum in diesen Gebäuden gut genutzt werden mußte.
In dem obigen Artikel ist die Rede von den
Schwarzenbergs, die das Gelände 1866
kauften. Zu welchem Zweck, weiß ich nicht. Aber wenn ich das Wappen sehe, dann
wahrscheinlich auch aus Image-Gründen. Es ist immerhin ein besonderer Friedhof mit Erde aus
dem geheiligten Land, die seinerzeit ein Abt dorthin gebracht hatte. Die Rede ist auch von
vorigen Plänen des Umbaus auch schon im 18. Jhdt. Und dabei gab es bereits Pläne der
"Gebeindekoration", wie es im Text heißt. Das heißt, daß eine Dekoration prinzipiell keine
Erfindung der Schwarzenbergs ist.
Erinnerung an den Tod...
Hm, wenn man es in aller Ruhe betrachtet, ist die Ausgestaltung dieses
Beinhauses schon eine gewisse Weiterentwicklung des dort bis dahin Herrschenden.
Denn die Knochen befanden sich bereits jahrhundertelang an diesem Ort.
Man könnte natürlich für die Moderne völlig neue Herangehensweisen entwickeln.
Zum Beispiel den Betonschaft eines TV-Turmes entsprechend dekorieren.
Das wäre für die Neuzeit ideal, weil es diese Türme in großer Anzahl weltweit
und meist in großen Städten gibt. (Aber so etwas wollen sicher die TV-Turm-Betreiber
nicht
) Oder knöcherne Vorfahren auf Autobahn-Wegweisern befestigen
(mit Zeigefinger auf die jeweilige Richtungsanzeige). Nun, es muß natürlich
schon irgendwie "Kunst" sein, etwas Besonderes - sonst wird es nach einiger Zeit
wieder bedeutungslos. ... vielleicht einen ... Eiffelturm ... muß ja nicht so groß sein
wie der echte.
Okay - ist sicher alles auch etwas skurill gedacht.
Ich würde schon gern wissen wollen, was die Intention der Schwarzenbergs nun
tatsächlich war (ist vielleicht auch von praktischem Nutzen, weil deren Nachkommen
wieder vor Ort aktiv sind, wie ich jetzt sah. Der Älteste der Familie ist sogar jetziger
tschechischer Außenminister).
Wenn es um Spektakel und um Aufmerksamkeit für ihre Einflüsse und Möglichkeiten ging,
dann ist ihnen das gelungen (oder wie der Autor der verlinkten Seite meint: "sich ein Denkmal
setzen"). Manchmal gibt es solche skurillen Leute, die gar nichts am Hut haben mit ernsten
Dingen bzw. diese dann nur vorschieben.
Du, Willi hast nun diese Interpretation gebracht:
"Richtig genommen sollen uns die Gebeine zeigen,was wir sind,
woher wir kommen, woraus wir sind geschaffen und was aus uns werden wird."
Also, kurz gesagt, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
Ja, so kann man es sehen.
In einer zitierten Broschüre heißt es lapidar:
"Dieses Werk ist kein Selbstzweck, jahrzehntelang demonstriert es den Besuchern die
Beschränktheit des menschlichen Lebens und den Tod und fördert somit das harmonische
Zusammenleben der Menschen und führt die Menschen dazu, das Leben zu achten und sich
seiner Verantwortung dem Gott gegenüber bewusst zu werden."
Man könnte das vielleicht auch so formulieren:
"Die Aussage des Werkes: Benimm Dich anständig - bedenke, daß Du sterblich bist und
vermeide durch Wohlverhalten - insbesondere gegenüber G. - daß Dein Schädel zu früh
hier oder irgendwo anders im Kronleuchter landet."
Ansonsten - wie ich bereits sagte - kann man sich natürlich in der Beschäftigung und bei
einem ständigen Aufenthalt in der Nähe derartiger Gegenstände durchaus in der Einstellung
ändern. Das spüre ich ja bereits an mir, da ich mich in der Nähe der Fotos aufhielt.
Ich hatte einmal Kontakt zu einem Herrn, der zeitweise als Totengräber arbeitete.
Er erzählte relativ locker über seine Gebeins- und Grabstättenbegegnungen. Das ist die alte
Erscheinung, daß der Mensch bei schwierigeren Angelegenheiten sich gern alles mit Humor
etwas erleichtert. Das vielleicht auch als Erklärung für den Einsatz der Künstler selbst.
Vielleicht immer als Kind dort gespielt...
Vielleich auch einmal Fußball...
Sicher könnte man es auch als großen Joke ansehen - ...was man so alles machen kann
aus alten Knochen - oder man kann auch die künstlerische Leistung bewundern und
anerkennen; Respekt - oder man kann eine Botschaft der Abschreckung (vor dem
drohenden Tod) bzw. der Befürwortung (des noch laufenden Lebens) ablesen.
Und wenn es im Privatbesitz war und die Kirche nichts zu sagen hatte, oder
einerstanden war - na, bitte. Die Knochen selbst wird es nicht mehr geschmerzt
haben ("Aua, meine Knochen!") und die Gäste und Besucher konnten vielleicht
entscheiden und können es auf alle Fälle jetzt, ob sie sich das anschauen oder nicht.
Da es nun alles Knochen von armen Menschen waren, wird es kaum Nachkommen geben,
die empört die Verwendung des Schädels ihres/ihrer Ururur... feststellen und ablehnen
können. Immerhin, da es alles kirchliche Gegenstände sein sollen (bis auf das Wappen,
oder soll das auch kirchlich sein???), gibt es einen starken kirchlichen Bezug.
In der letzten Passage Deines Beitrages, Willi, wird es fast zur Elogie.
"Das Gruseln wandelt sich in Ehrfurcht vor dem Wunderbaren."
Ich kann das verstehen und respektiere es. Aber wenn man diesen Satz einmal exakt
betrachtet, dann steht dort einmal das Wort "Ehrfurcht".
Das ist schwierig deshalb, weil wir etwas ehren sollen, was wir fürchten.
Und genauso das Wort "Wunderbares" in diesem Zusammenhang. Das Leben sehen wir
gern als etwas Wunderbares an. Den Tod auch? (Einmal abgesehen von völlig leidend
Erkrankten und scheinbar hoffnungslos Erschöpften, für die der Tod dann eine Erlösung ist - und
in dem Sinne auch etwas Wunderbares.)
Ja, natürlich sind die Kreisläufe des Biologischen in der Natur wunderbar.
Aber wir sind nun mal nicht mehr "reine Natur". Wir sind ziemlich zum - ich sage
nicht: zum Besseren, sondern: zum Anderen verwandelt. Wir sind ausgebrochen
(worden, wir können ja nichts dafür) aus den profanen allgemeinüblichen Kreisläufen
(oder aus dem einen Kreislauf, wenn wir das modellmäßig so vereinfachen).
Das ist der Punkt der Wurzel allen unverständlichen "Übels".
Wir sollen uns zufrieden geben, uns fügen ins Schicksal.
Ja, klar, und, Nein! Das hat vielleicht mit den oben angedeuteten Entgrenzungen der
Lebensmöglichkeiten weniger zu tun. Das ist eine prinzipielle Frage. Das geht insgesamt
nicht mehr so absolut entweder auf der einen oder der auf der anderen Seite (also Ablehnung
oder Akzeptanz). Schuld sind die Affen vor uns. Wären sie damals auf den Bäumen
geblieben, hätten wir jetzt unsere relative Ruhe. Als Deutsche ohnehin - Banane, Banane, Banane.
Ja, leben und doch immer ein wenig unzufrieden sein, daß es nur maximal bis ins H.-Alter geht.
("Äh, Alter, wie alt wirst'n". - "2 Tage älter als Heesters.")
Na, gut - ich sehe schon - je mehr ich mich damit beschäftige, desto leichter wird
es mir fallen, es vielleicht auch irgendwann einmal zu besichtigen und 30 oder 40 Tausend
Mal "Guten Tag!" zu sagen. Und beim Abschied: "Bis bald!"
Viele Grüße - miljas :t252: :t252: