HartzIV-Menschen-Bashing in Foren




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HartzIV-Menschen-Bashing in Foren

Beitragvon Chord » 27.02.2010, 16:16

Unmittelbarer Anlass, wenn auch nicht der einzige, war Svens Posting im Lauster-Forum. Ich hoffe, er liest hier auch mit, und würde mich auch freuen, wenn er sich an der Diskussion beteiligt.

Ich erlebe in letzter Zeit verstärkt in Foren etwas, was ich nur noch als "Nach unten treten" bezeichnen kann, auch wenn es unter diversen Deckmäntelchen geschieht - nein, keine Kritik an HartzIV-Menschen ist hier gemeint, steht oft dabei, und gleich darauf werden die Betreffenden auch schon in einem Atemzug mit "Missbrauch" genannt, der laut SCHÄTZUNGEN (!!!) - man könnte auch Wahrsagekugel dazu sagen oder Stammtischvorhersagen - 30 Prozent betagen soll - ohne auf deren bitteren Nöte einzugehen, die lobenswerterweise von einigen mitfühlenden PosterInnen in diversen Postings sogar ausdrücklich thematisiert worden waren und werden. Aber darum geht es den Threaderstellern oft gar nicht, und sie sind dann auch nicht sonderlich erfreut, wenn etwa die Worte eines "Westerwelle", der sich als Initiator eines solchen HartzIV-Menschen-Bashings geriert, nicht unzerkaut geschluckt und für gut befunden werden, sondern Widerspruch kommt - von Betroffenen, von Leuten, die HartzIV-Betroffene kennen oder selbst in ähnlichen Umständen leben mussten oder zumindest gelebt haben einige Zeit, von Menschen mit Herz und MITGEFÜHL.

Abgesehen davon, dass versucht wird, sämtliche niedrigverdienenden oder sonstige Gruppen mit niedrigem Einkommen gegeneinander auszuspielen, werden die angeblich so bevorzugten "Hartz-IV"-EmpfängerInnen oder Arbeitslose generell wieder einmal zur Zielscheibe, und das in Zeiten, in denen es immer weniger Lohnarbeit gibt, und die Firmen Profitmaximierung auch und gerade auf Kosten der Menschen anstreben - wirklich ändern wird sich das erst, wenn sie soweit "kaputtprofitmaximiert" haben, dass sie merken, dass sie mit dem Rausschmeißen von MitarbeiterInnen (ich finde, das triffts besser als "Freisetzen") letztendlich auch ihre KundInnen rausschmeißen, denn von 350 Euro kann man sich nicht mehr viel "leisten".

Ich möchte daran erinnern, dass der Beitrag, den die HartzIV-Gesetze zum Beispiel täglich für die Nahrungsgesamtaufnahme (Essen und Trinken) eines Kindes einen Betrag vorsehen, der bei etwa 2,60 Euro pro Tag liegt. An Tagen, an dem das Kind Nachmittagsunterricht hat und deshalb in der Schue bleiben muss, kann es sich von diesem Betrag, der ja für den ganzen Tag reichen soll, nicht einmal das reguläre Mittagsmenü leisten. Dass die Zahl jener, die Armentafeln besuchen müssen, um irgendwie über die Runde zu kommen, gerade in den reichen Ländern wie Deutschland und Österreich in den letzten jahren EXPLODIERT ist. Dass Experten in der BRD schon Alarm geschlagen haben, dass immer merh Kinder mit leerem Magen in die Schule kommen, weil sich die Eltern kein Frühstück leisten können.
Erinnern möchte ich auch an einen Missbrauchsfall: Ein Nachbar hatte einem Mädchen, das in einer HartzIV-Familie lebt, eine Freude machen wollen, und ihren Eltern Geld für ein Weihnachtsgeschenk zugesteckt - es ging um 50 Euro oder etwas in dieser Größenordnung.
Diese 50 Euro wurden den Eltern dann gleich wieder abgezogen - sodass sie besser drangewesen wären, wenn sie das Geld gar nicht erst bekommen hätten.

Menschen unter 25 können GEZWUNGEN werden, bei ihren Eltern zu bleiben und nicht auszuziehen! Tun sie es dennoch, haben sie damit bis zum Erreichen des 25. Lebensjahres den Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen verwirkt.

Während minderjährige Söhne und Töchter, die das Glück haben, nicht in einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft zu leben, sich sowohl ein finanzielles Zubrot als auch die heute so geschätzten ersten Berufserfahrungen durch Ferienjobs holen können, lohnen sich Ferienjobs für Kinder, deren Eltern HartzIV-beziehen nicht mehr - sie dürften maximal 100 Euro behalten, wenn sie das Pech habe, und so sozial waren, ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) zu machen, dürfen sie auch gleich gar nichts vom "Taschengeld" behalten - das müssen die gerade mal 16-Jährigen in eine andere Tasche abliefern, wenn sie "die falschen" Eltern haben:
http://www.arbeitslosenselbsthilfe.org/ ... zogen.html

Solche Dinge muss man wissen, wenn man hier eine Missbrauchsdebatte anzetteln will.
Wissen sollte man auch, dass immer sehr viel mehr Menschen aus Scham oder Unwissenheit auf ihnen zustehende Sozialleistungen verzichten - würde man die eine Gruppe gegen die andere aufrechnen, so stellte sich heraus, dass es eigentlich kein Problem gibt - dass für jeden Missbrauch auf der einen Seite auf der anderen auch sozusagen das Gegenteil davon existiert, das wird aber bewusst verschwiegen.

Interessant auch, dass man sich zum Thema Missbrauch auf Schätzungen beruft, wo es doch Zahlen gibt.

Zum Beispiel die der Gerichtsverfahren, zu denen es kam - interessanterweise hatte in Berlin z.B. in der Mehrheit davon nicht der Staat Recht behalten, sondern die HartzIV-EmpfängerInnen hatten zurecht gegen die Fehlentscheidungen geklagt!
Solange dies jedoch nicht feststand, würden all die Betreffenden in der Zwischenzeit auch als Leute, die HartzIV missbrauchen, geführt.


JEDER VIERTE EIN EURO JOB ERSETZT EINE/N REGULÄREN BESCHÄFTIGTE/N!
Quelle: http://www.aib-verlag.de/de/zeitschrift ... /index.php

Das ist auch kein Wunder, denn wenn man die Bedingungen für Erwerbslose verschärft - sind diese gezwungen, Arbeit für immer weniger Lohn anzunehmen - natürlich wird dies gerade in Zeiten, in denen Profitmaximierung mehr zählt als ein menschlicher Umgang mit unterstellten Arbeitskräften, viele Unternehmer zum Missbrauch verleiten - ach ja, so etwas wird dann nicht Missbrauch genannt, sondern "unternehmerisches Geschick" und ähnliches. Die Menschen stehen jedenfalls im Endeffekt auf der Straße und die Unternehmen sind ihre teuren MitarbeiterInnen los und reiben sich die Hände.
Die, die noch nicht auf und davon sind, sondern im Land, reiben sich auch die Hände, denn sie können ja drohen: "Wenn ihr das und das ncht macht, nicht in Kauf nehmt, diesen Abstrich hier nicht über euch ergehen lässt ..." dann "machen wir uns auch auf und davon", finden wir mit Leichtigkeit Ersatz, ders auch noch für die Hälfte eures Lohnes macht ... usw.usf.

Um sich darüber aufzuregen, dass man als HartzIVler besser dran sein könnte als als arbeitender Mensch finanziell, ohne gleichzeitig zu überlegen - oder wenigstens zu lesen, was ohnehin dort schon erwähnt wurde - dass das nur dann möglich sit, wenn Unternehmen Menschen so lächerlich geringe Löhne zahlen, dass sie davon nicht mehr leben können oder aber am Arbeitsmarkt nur noch Teilzeitbeschäftigungen erhältlcih sind, ist blauäugig. Blauäugigkeit allein ist eine durchaus liebenswerte Eigenschaften, aber nur solange sie nicht dazu beiträgt, Vorurteile köcheln zu lassen.

Besonders interessant finde ich auch, dass solche Diskussionen just zu einem Zeitpunkt wieder in voller Blüte stehen, als sogar der deutsche Gesetzgeber selbst unumwunden zugibt, dass HartzIV gegen die Verfassung und die Würde des Menschen verstößt.

Wichtig ist auch, wie groß oder klein die Wohnungsfläche ist - und die wird pro Kopf berechnet. Im schlimmsten Fall, im Todesfall eines Angehörigen ist laut Amt die Wohnung dann zu groß, und schnellstmöglich muss eine neue her. An sowas denken Trauernde natürlich zuletzt, geschweige denn, dass sie die Kraft haben, sich darum zu kümmern, aber das Amt erinnert sie unerbittlich, schon zwei Wochen nach dem Todestag:
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenue ... df8c09.php

http://www.alg2-hartz4.de/index.php?opt ... 3&Itemid=2


Angesichts all dessen frage ich mich - im vollen Bewusstsein dessen, dass es in meinem Heimatland um nichts besser ist - ob die Sozialgesetzgebung in Deutschland wirklich so gut und einzigartig ist.

Ich frage mich auch, warum die Kritik sich nie gegen all die vielen Unternehmen richtet, die ihre Profite maximieren und ihre Aktienkurse steigenlassen dadruch, dass sie Menschen um ihre Arbeit bringen udn billiger in Fernost oder sonstwo produzieren lassen oder ihre Dienste anbieten. ) Blättert man zurück in der Geschichte, so um 3 Jahre circa, und geht dem genauer nach (was ich damals getan habe), so kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: die Unternehmen, und zwar sehr viele, schrieben damals REKORDGEWINNE!!!

Ja, wo ist denn dieses Geld alles hin? Wurde es vielleicht rekordverspekuliert? Oder, was noch wahrscheinlicher ist - liegt es irgendwo sicher im Safe, irgendwo, wo es nie wieder den "normalen" Menschen zugute kommen wird.

Noch etwas, es ist n i c h t Arbeit um jeden Preis die beste Variante. Ich freue mich für jeden Arbeitslosen, für jede Arbeitslose mehr, die dadurch arbeitslos werden, dass Deutschland aus der Rüstungsindustrie und dem Waffenexport aussteigt. Für Österreich gilt das sinngemäß auch, auch wenn wir de facto keinen Waffenexport haben, in Deutschland sind die Dimensionen aber ganz andere. Deutschland ist der Europameister im Waffenexport (http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=5321), und die deutschen Waffenexporte stiegen in den letzten Jahren dramatisch an - um 70 (siebzig) Prozent!
http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html
Ja, ganz Europa exportiert schon mehr Waffen als die gesamte USA: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html
Weltweit betrachtet, liegt Deutschland mit seinem Waffenexport an dritter Stelle, 10 Prozent des Gesamtvolumens an Waffen, die in der Welt Unheil anrichten, gehen aufs Konto Deutschlands. Waffenexport ist eine krisensichere Branche.
http://www.sr.se/cgi-bin/international/ ... el=2796718

Es ist aber offenbar rühmlicher, sich mit solcher redlicher Arbeit (Waffenproduktion, Waffenexport) die Hände schmutzig zu machen und dem Staat Deutschland nicht auf der Tasche zu liegen, als ein "Sozialschmarotzer" zu sein - das Wort wird zwar nicht ausdrücklich genannt, aber die Umschreibungen zielen mehr oder weniger auf eine solche Charakterisierung von Hartz-IV-lern ab.

2009 ging bei Berliner Sozialgerichten die 75.000 Klage gegen einen Hartz-IV-Bescheid ein.
Und: Mehr als jeder zweite Kläger erhielt Recht! Somit hätten wir gleich wieder einmal 32500 Missbrauchsfälle weniger :-)

Ich wollte eigentlich zuerst was schreiben, habe mich dann so aufgeregt über diese Ungerechtigkeiten gegenüber den sozial Schwachen, während auf der anderen Seite die eigentlichen Verursacher außen vor gelassen werden, wenn ihnen nicht gar gehuldigt wird, dass ichs dann aufgegeben habe, vor allem als ich den untenstehenden Leserbrief gefunden habe - ganz hab ichs dann aber doch nicht lassen können, was zum Thema zu schreiben.

Hier nun der Leserbrief, der sehr gut ausdrückt, was auch ich empfinde:

Eberhard v. Muensingen,
20.10.2009
Leben Sie mal von Hartz IV. Und wenn es nur einen Tag ist.
Wenn meine Vorschreiber mal wie ich 2 Hartz-IV-Leute betreut hätten incl. erlebten Selbstmordversuchen, weil verzweifelt und nirgends Hilfe in Sicht, am wenigsten von den ach so christlichen, den Nächsten liebenden Kirchen, dann würden sie nicht solch theoretischen Stuss daherschreiben.
Nicht alle Hartz-IV-ler sind arbeitsscheu.
Die meisten wollen arbeiten, dürfen sich aber lediglich mit ein-Euro-Jobs ein Nasenwasser dazu verdienen. Eine bereits ältere Frau durfte dies, in dem sie vom Straßenverkehrsamt im Winter zur Reinigung von Seitenstreifen etc. eingesetzt wurde, unter dem Gegröle und der Anmache der drumrumstehenden "regulären" Arbeiter.
So sieht's aus, meine Herren.
Menschenwürde gibt's da nicht mehr.
Um sich zu befreien, fehlt den meisten die Kraft.
Bei 200 Bewerbungen gibt's nicht mal ne Absage, einen Job zu ergattern ist aussichtslos.
Wendet man sich an Abgeordnete, Politiker, wie selbst erlebt, interessiert die das nicht.
Egal, von welcher Partei.
Es ist schlicht aussichtslos.
Ich ziehe den Hut vor jedem, der es überhaupt schafft, von Hartz IV zu leben.
Und ich schiebe nur noch Hass auf Leute, die vor Ohrring links, Ohrring rechts, Drittbrille,
Viertnebenfrau etc. nicht mehr wissen, wie sie ihr Geld am besten verprassen können.
Und auf 97% aller Politiker, die im Fernsehen einen auf dicken Max machen und vom wahren Leben keine Ahnung haben.
Westerwelle und wie sie alle heißen – sie können mir gestohlen bleiben.
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/p ... order=desc


Liebe Grüße,

Chord
Chord
 

von Anzeige » 27.02.2010, 16:16

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sorry, bei der Rechnung

Beitragvon Gast » 27.02.2010, 16:22

75000 : 2 kommt natürlich 37500 raus :-)
Gast
 

Beitragvon miljas » 27.02.2010, 16:55

Hallo,

hier ein Bericht über die Entwicklung bezüglich H4 und Geringverdienern im Gesundheitssystem:

Medizinische Grundversorgung von Armen in Gefahr (Video, WDR, Sendung "Monitor" vom 25.2.10, erster Beitrag)

Viele Grüße - miljas :t252: :t252:
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Beitragvon Chord » 28.02.2010, 10:38

Vielen Dank, Miljas! Das ist wirklich eine interessante Sendung gewesen - hab mir gestern alles angehört.

Liebe Grüße,

Chord
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